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Das Geschäft mit den Knie-Operationen


Foto: Oliver Berg
Verschleißerscheinungen werden zu schnell operiert

Düsseldorf. Immer mehr Menschen bekommen ein künstliches Kniegelenk. Viele Operationen seien unnötig, kritisiert die Bertelsmann-Stiftung. Sie macht finanzielle Anreize der Kliniken für den Anstieg verantwortlich.


Eine Weile war der Einsatz von künstlichen Hüft- und Kniegelenken in Verruf geraten, die Zahlen gingen zurück. Doch inzwischen hat sich der Trend gedreht: Die Zahl der Knie-Operationen ist wider sprunghaft angestiegen. Von 2013 bis 2016 legte sie um 18,5 Prozent zu, wie die Bertelsmann-Stiftung in einer am Dienstag vorgelegten Studie zeigt. Sie erhöhte sich demnach von 143.000 auf 169.000. Das ist ein neuer Höchststand.


Auffällig sind die regionalen Unterschiede: So wurde in Bayern und Thüringen mit 260 und 243 Eingriffen pro 100.000 Einwohner am meisten operiert. Deutlich weniger Patienten wurden in Berlin (153) und Mecklenburg-Vorpommern (164) mit einem künstlichen Kniegelenk versorgt. Nordrhein-Westfalen liegt mit 201 Eingriffen im Mittelfeld. Aber auch hier stieg die Zahl der Eingriffe seit 2013 um 17,5 Prozent.


Die Bertelsmann-Stiftung und ihr Partner Science Media Center haben Zahlen des Statistischen Bundesamtes ausgewertet und führten Gespräche mit Ärzten, Klinikchefs und Krankenkassen. Danach liegt es vor allem an finanziellen Anreizen, dass in Deutschland so viele künstliche Kniegelenke eingesetzt werden. Im Schnitt bekommen etwa Kliniken in NRW laut Krankenhausgesellschaft bei einer Verweildauer von 16 Tagen rund 12.500 Euro pro Eingriff von den Kassen. So sieht es die entsprechende Fallpauschale vor. „Die Gesprächspartner beschrieben die Operation als finanziell attraktiv und gut planbar“, so die Studie.


Einzelne Kliniken gaben sogar an, dass die Knie-Stationen die „Cash Cows“ seien, die Defizite in anderen Stationen ausgleichen würden. Zum Teil führen die Operationen auch Belegärzte, also niedergelassene Orthopäden, durch, die sich über ihre Einweisungen die Nachfrage nach lukrativ vergüteten Operationen selbst schaffen.


Die Deutsche Krankenhausgesellschaft weist die Vorwürfe zurück. Eine pauschale Verdächtigung, Kliniken würden aus nicht-medizinischen Gründen Patienten operieren, habe keine Grundlage, sagte deren Chef Georg Baum. Der Wunsch nach Mobilität und Schmerzfreiheit nehme in der Gesellschaft nun mal weiter zu. Zudem würden Operationen intensiv zwischen Arzt und Patient diskutiert. Für Nordrhein-Westfalen ergänzte Lothar Kratz, dass es hier viele Unikliniken und viele gute Spezialisten gebe. Das ziehe Patienten an. Hinzu kämen sozio-ökonomische Gründe. Im Ruhrgebiet, wo ein Drittel der NRW-Bevölkerung lebe und wo viele Menschen in Bergbau und Schwerindustrie gearbeitet hätten, gebe es auch besonders viele Patienten.


Die Bertelsmann-Stiftung mahnt Reformen an. Sie fordert, Patienten umfassender zu informieren, so dass sie besser mit entscheiden können. Zudem sollte die Klinik-Struktur zentralisiert werden: Derzeit böten bundesweit 1072 Krankenhäuser Knie-Operationen an. Das seien zu viele. Zu Zeit liege die Mindestmenge an Knie-Operationen, die eine Klinik durchführen müsse, um von den Kassen bezahlt zu werden, bei 50 Eingriffen pro Klinik und Jahr. Das seien oft nur 10 oder 15 Eingriffe pro Arzt - und damit zu wenig, um hervorragende Qualität abzuliefern. Die Mindestmengen müssten erhöht werden, fordern die Autoren der Studie. Damit müsse eine große Zahl von Kliniken den Markt für Knie-Prothetik verlassen und der Kampf um die Patienten würde nachlassen.


Zudem müssten Ärzte die Patienten über die Risiken besser aufklären. Und die sind hoch: Bei fast vier Prozent der Patienten, die zwischen 2012 und 2014 eine Knieprothese erhalten hatten, musste diese binnen eines Jahres wieder ausgetauscht werden, so das wissenschaftliche Institut der AOK. Nach einer Studie der Barmer GEK war nach fünf Jahren noch jeder fünfte Patient mit seinem Eingriff unzufrieden. Weitere 35 Prozent waren nur eingeschränkt zufrieden.


Gerade Patienten unter 60 Jahren sollten eine Operation möglichst hinauszögern, mahnen die Autoren. Je jünger die Patienten sind, desto häufiger käme es später zu einer Wechsel-Operation. Und die sei oft mit noch mehr Komplikationen verbunden.


Die Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik mahnt, Beschwerden erst einmal durch konservative Therapien zu lindern: beispielsweise durch Gewichtsreduktion, um die Gelenke zu entlasten, durch Physiotherapie sowie durch entzündungs- und schmerzlindernde Mittel. Das helfe, um den Zeitpunkt der Erstimplantation hinauszuzögern.


(Quelle: rp-online.de, Antje Höning, 20.06.2018)

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