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Verbraucherschützer klagen an: Sparkassen haben Kunden jahrelang zu wenig Zinsen gezahlt

Aktualisiert: 20. Sept. 2019

Die Verbraucherzentrale Sachsen schlägt Alarm, weil die Sparkassen bei vielen langfristigen Sparverträgen zu wenig Zinsen gezahlt haben – bis zu vierstellige Euro-Beträge. Vielen Kunden ist dies noch gar nicht bekannt. FOCUS Online erklärt, um welche Angebote es geht und wie Sie sich wehren können.


Anna Müller* schloss 1999 einen Prämiensparvertrag bei der Sparkasse Vogtland ab. Mit wenig Risiko versprach er einen guten Ertrag: Zwar lag der variable Anfangszins nur bei 2,5 Prozent pro Jahr, doch je länger die Angestellte 100 Euro im Monat einzahlte, desto höher fielen ihre Prämien aus. Ab dem 15. Sparjahr erhielt sie außerdem einen Bonus von 50 Prozent auf den dann in einem Jahr eingezahlten Betrag.


Abstürzende Zinsen wegen EZB-Anleihenkäufe

Viele Kunden haben ab 1995 bei den Sparkassen einen langfristigen Sparvertrag abgeschlossen. Bei solchen Verträgen erhalten sie auf ihre zumeist monatlichen eingezahlten Beträge einen variablen Zinssatz und eine jährliche Bonuszahlung. Häufig handelte es dabei um das Angebot „S Prämiensparen flexibel“: Neben gestaffelten Prämien versprach es einen variablen Zinssatz bis zu fünf Prozent pro Jahr. Wegen der Nullzinspolitik wurden die variablen Zinsen immer mehr gesenkt. „Heute sind es oft nur noch 0,001 Prozent“, erläutert Andrea Heyer, Referatsleiterin Finanzdienstleistungen der Verbraucherzentrale Sachsen.


Unklare Klauseln in Sparverträgen

Die Verbraucherzentrale Sachsen kritisiert, dass bei vielen Sparverträgen unklar ist, nach welchen Kriterien die Zinssenkung erfolgt und ob diese rechtmäßig sind. In den Klauseln steht nur: „Die Spareinlage wird variabel, zur Zeit mit 3 Prozent verzinst“ und „Die Sparkasse zahlt neben dem jeweils gültigen Zinssatz am Ende des Kalenderjahres eine verzinsliche Prämie.“ Daraus gehe nicht hervor, in welcher Weise die Zinsen der Marktentwicklung angepasst werden.


Eindeutige Vorgaben durch Rechtsprechung

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshof (BGH) hingegen sieht unklar formulierte Zinsanpassungsklauseln kritisch und hat bereits einige Varianten für unwirksam erklärt. Solche Klauseln haben die Verbraucherzentralen in den vergangenen Jahren immer wieder verhindert: Die Sparkasse Frankfurt/Main gab im September 2017 eine Unterlassungserklärung ab, die Sparkasse Lörrach-Rheinfelden im Oktober 2017. Ist eine schwammige Klausel im Vertrag ungültig, müssen die Vertragspartner eine neue, rechtlich gültige vereinbaren. Ein solche Praxis ist jedoch von den Sparkassen bei vielen Verträgen ausgeblieben.


Zu geringe Zinszahlungen

Neben den rechtswidrigen Klauseln hält die Verbraucherzentrale Sachsen die berechneten Zinsen für zu niedrig. Zu Beginn der Verträge wurde oft ein Zins festgelegt, der eine Differenz zum Marktzins der Bundesbank aufwies. Dieser Abstand muss über die ganze Laufzeit gleich groß sein. Zudem ist es notwendig, dass die Sparkassen als Referenzzins einen Zins für langfristige Spareinlagen wählen. „Bei Frau Müller war das nicht so. Die Differenz schwankte zu stark“, erläutert Heike Teubner, Leiterin der Verbraucherzentrale Auerbach. Das war für sie ein Hinweis, dass die Sparkasse ihre Zinsen jahrelang fehlerhaft angepasst hatte.


Aufgrund solcher Differenzen hat die Verbraucherzentrale Sachsen solche Sparverträge der Sparkassen mit Hilfe von Wirtschaftskanzleien stichprobenartig analysiert. Dabei stellten die Verbraucherschützer fest, dass die meisten Kunden viel zu wenig Zinsen bekommen haben.

Beispiel: Ein Sparer hatte im November 1993 einen Prämiensparvertrag bei der Erzgebirgssparkasse abgeschlossen. Monatlich zahlte er 100 DM bzw. 51,13 Euro ein, die anfängliche variable Verzinsung betrug fünf Prozent pro Jahr. Nach 25-jähriger Laufzeit kündigte die Sparkasse den Vertrag am 23.01.2018. Zuletzt betrug der Zins 0,001 Prozent pro Jahr. Während der Vertragslaufzeit zahlte das Geldinstitut insgesamt 2179 Euro Zinsen. Die Überprüfung durch die Experten ergab eine Differenz von 4963 Euro. Diesen nicht ausgezahlten Zinsbetrag fordert der Kunde jetzt nachträglich von der Erzgebirgssparkasse.


Sparkassen bestreiten Fehler

Wollen sich betroffene Kunden bei den Sparkassen erkundigen, wie ihre Zinsen in den vergangenen Jahren angepasst wurden, erhalten sie oft schwer verständliche Informationen, die sie nicht überprüfen können. Außerdem wird erkennbar, dass die Geldinstitute bei der Berechnung unterschiedliche Kriterien verwendet haben. „Sie behaupten, alles richtig gemacht zu haben, weshalb den Kunden keine nachträglichen Zinsen zustünden“, beklagt Heyer.


Die Sparkassen halten sich in dieser Sache auch gegenüber FOCUS Online bedeckt: Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) möchte sich dazu gar nicht äußern. Und vom Ostdeutschen Sparkassenverband kommt nur die Antwort: „Wir wissen von keinem rechtswidrigen Verhalten der Sparkassen.“ Falsche Zinsberechnungen zum Nachteil der Sparer sind aber offenbar nicht nur ein Problem der Sparkassen. „Wahrscheinlich hat es sie auch bei Sparverträgen anderer Banken gegeben oder gibt sie heute noch“, vermutet Heyer.


Anpassungskriterien des Bundesgerichtshofes

Die Verbraucherzentrale Sachsen fordert daher von allen Banken, diese rechtswidrige Praxis bei Zinssenkungen zu beenden. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) verlangt diese Anpassungskriterien:

• Referenzzins: Festlegung nach der Bundesbank-Zeitreihe WX 4260 (Umlaufrendite inländischer Schuldverschreibungen und Hypothekenpfandbriefe mit einer Restlaufzeit von 9 bis 10 Jahren), geglättet, gleitender Durchschnitt

• keine Schwelle: Die Anpassung des Zinssatzes darf nicht erst erfolgen, wenn ein Schwellwert erreicht ist – zum Beispiel 0,5 Prozentpunkte.

• monatliche Anpassung: zeitliche Verzögerungen wie eine quartalsweise Veränderung sind nicht zulässig

• relative Anpassung: Lag der Vertragszins zu Beginn bei vier Prozent und der Referenzzins bei fünf  Prozent, muss die Bank über die gesamte Laufzeit 80 Prozent des Referenzzinses an den Kunden weitergeben. Beispiel: Sinkt der Referenzzins auf ein Prozent, bekommen Sie von der Bank 0,8 Prozent.


Unterstützung durch Verbraucherzentrale

Haben Sie einen Sparvertrag, bei dem der variable Zins in den vergangenen Jahren immer kümmerlicher geworden ist, können Sie ihn von der Verbraucherzentrale Sachsen prüfen lassen (www.verbraucherzentrale-sachsen.de/geld-versicherungen/zinsanpassung). Für 85 Euro wird Ihre Zinsanpassung von einem Kreditsachverständigen nachgerechnet. Dazu müsse Sie Kopien von Sparverträgen oder Sparbüchern inklusive aller Änderungen einreichen. Die Berechnungen werden in einem rechtlichen Gutachten samt Erläuterung für den Kunden zusammengefasst. Mit dem Ergebnis dieses Gutachtens sollten betroffene Verbraucher ihre Zinsansprüche zunächst gegenüber der Sparkasse oder einem anderen Geldinstitut geltend machen.


Nachschlag von der Bank fordern

Sollte die Bank Ihre Ansprüche ablehnen, haben Sie noch die Möglichkeit, sich an einen Ombudsmann zu wenden. Dieser wird versuchen, Ihren Streit mit der Bank zu schlichten. Führt auch das zu keinem akzeptablen Ergebnis, bleibt Ihnen nur der Gang vor Gericht. Da dieser Missstand erst vor kurzem aufgedeckt wurde, kennt die Verbraucherzentrale Sachsen bisher keine Fälle, wo Kunden eine Klage eingereicht haben. Die meisten Geschädigten befinden sich derzeit in Verhandlungen mit der betroffenen Sparkasse. Allerdings zeigen sich längst nicht alle Geldinstitute kompromissbereit „Einige gehen auf die Forderungen der Kunden ein, andere lehnen sie rundweg ab“, hat Heyer beobachtet. Manche haben deshalb den Ombudsmann eingeschaltet.


Sparkasse Vogtland kompromissbereit

Zum Sparvertrag von Anna Müller gibt es ebenfalls ein Gutachten. Ergebnis: Die Sparkasse Vogtland hatte ihr jahrelang zu wenig Zinsen gutgeschrieben. Frau Müller schickte dem Geldinstitut die Expertise und verlangte eine Nachzahlung. „Anfangs lehnte die Sparkasse ihre Ansprüche ab, dann folgte ein erstes Vergleichsangebot“, berichtet Teubner. Da dieses sehr niedrig war, lehnte Frau Müller ab und wandte sich an den zuständigen Ombudsmann. Dann kam doch noch die gute Nachricht: Zwar zahlte das ostdeutsche Geldinstitut nicht die volle festgestellte Forderung von 1172 Euro, aber immerhin 600 Euro.


(* Name von der Redaktion geändert)




Quelle: focus.de, 15.02.19



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