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Was negative Bauzinsen bedeuten würden

Aktualisiert: 8. Okt. 2019

Kein Zins mehr für den Baukredit, stattdessen ein Nachlass von der Bank: Mit dem Druck der Notenbanken könnte das bald Realität werden. Negativ verzinste Kredite würden die Immobilienwelt auf den Kopf stellen.


Zins-Talfahrt und kein Ende: Wer eine Wohnung oder ein Haus kaufen will, findet immer billigere Immobilienkredite. Schon gibt es erste Gedankenspiele für negative Bauzinsen – auch weil die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Strafzinsen für Einlagen von Banken verschärft hat. Der Druck auf die Geldhäuser steigt damit weiter. Was heißt das für Verbraucher?


Was würden negativ verzinste Immobilienkredite konkret bedeuten? Angenommen, Wohnungs- oder Hauskäufer nehmen Baugeld mit einem Minus-Zins auf, dann bekommen sie einen Rabatt von der Bank: Statt Zinsen auf ihr Darlehen zu bezahlen, müssten sie den aufgenommenen Immobilienkredit nicht einmal komplett zurückzahlen: Bei 200.000 Euro aufgenommener Summe wären es zum Beispiel nur 199.000 Euro. Und die Zinslast auf Tilgungen würde komplett der Vergangenheit angehören.


Gibt es schon Minus-Bauzinsen in Deutschland? Noch nicht, sagen Experten. Doch die Zinsen für Kredite mit zehnjähriger Bindung sind bei guter Bonität unter die 0,5-Prozent-Marke gefallen, beobachtet Interhyp. Der Vermittler von privaten Immobilienkrediten hat die Konditionen von mehr als 400 Banken verglichen. „Kreditnehmer erleben in diesen Wochen eine nie da gewesene Entwicklung“, sagt Interhyp-Vorständin Mirjam Mohr. Bei guter Bonität seien schon rund 0,4 Prozent pro Jahr drin.

Immobiliendarlehen sind derzeit so günstig wie nie, heißt es auch bei der unabhängigen FMH-Finanzberatung. Demnach fielen bei einem Kredit mit Laufzeit von zehn Jahren jüngst 0,69 Prozent Zinsen im Schnitt an. Vor drei Wochen waren es noch 0,71 Prozent pro Jahr.


Werden negativ verzinste Immobilienkredite bald eingeführt? Laut Recherchen des Branchenportals „Finanz-Szene.de“ stellen sich Banken schon darauf ein. Bisher halten sich große Geldhäuser aber bedeckt. Die Deutsche Bank etwa erklärte, sie plane „derzeit nicht, negative Zinsen für Baufinanzierungen einzuführen“. Die Commerzbank teilte mit, dies sei aktuell „nicht vorstellbar“.

Wenn es zu negativen Immobilienzinsen hierzulande komme, dann wohl nur in Einzelfällen, glaubt Mohr von Interhyp. Etliche Banken hätten schon Mindestzinsen im positiven Bereich eingeführt. In Dänemark gebe es dagegen bereits negative Bauzinsen.

Ähnlich sieht das Max Herbst von der FMH-Finanzberatung. „Es ist möglich, dass die Bauzinsen bis null fallen, aber die Wahrscheinlichkeit negativ verzinster Immobilienkredite für die Masse ist minimal.“ Spitzen-Angebote über zehn Jahre mit rund 0,3 Prozent Sollzins beträfen Käufer mit viel Eigenkapital und guter Bonität.


Was haben Banken von möglichen negativen Bauzinsen? Negativ verzinste Immobilienkredite könnten für Banken das kleinere Übel sein. Horten sie über Nacht Geld bei der EZB, zahlen sie erhöhte Strafzinsen - statt 0,4 Prozent wie bisher nun sogar 0,5 Prozent. „Der Druck wird größer“, sagt Herbst. „Die Banken wollen ihr Geld loswerden, weil die EZB ihnen zu teuer wird.“ Als eine Lösung böten sich große Baufinanzierungen an, die Banken selbst bei niedrigen Zinsen so gut wie ohne Risiko vergeben könnten.






Was bedeuten extrem niedrige Zinsen für den Immobilienboom? Sie können Bürger ermuntern, mehr Kredit für den Wohnungskauf aufzunehmen und den Boom noch antreiben: Je niedriger der Zins, desto kleiner die Schuldenlast. „Ein Ehepaar, das vor zehn Jahren eine Monatsrate von 1000 Euro zur Finanzierung übrig hatte, kann heute mit der gleichen Summe einen weit höheren Kredit stemmen“, sagt Niels Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.


Im Immobilienboom sind Wohnimmobilienkredite bereits angeschwollen: Binnen zehn Jahren kletterten die Schulden der Bundesbürger um etwa ein Viertel, zeigt eine Antwort des Finanzministeriums auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion. Demnach nahmen Privathaushalte 2018 rund 995 Milliarden Euro zur Finanzierung von Wohnungen und Häusern auf.


Muss ich Angst haben, dass die Immobilienpreise erst recht steigen? Ob Wohnungen und Häuser noch teurer werden, weiß niemand - mögliche negative Bauzinsen hin oder her. Zwar treiben billige Finanzierungen tendenziell große Investoren in Immobilien. Sie finden wegen der Niedrigzinsen kaum noch einträgliche Anlagen und setzen auf weiter steigende Wohnungspreise. Es gibt aber auch etliche Warnungen vor Immobilienblasen, wie vom Bankenverband VÖB. Auch mehr Regulierung der Politik könnte stärker auf dem Immobilienmarkt lasten.


Wie sollten Verbraucher handeln? Wohnungsinteressenten sollen nicht kaufen, nur weil die Bauzinsen verlockend niedrig seien, warnt Verbraucherschützer Nauhauser. Den geringeren Zinsen stünden weit gestiegene Preise gegenüber. Wenn negative verzinste Immobilienkredite kommen, dann wohl zunächst im Nachkommastellen-Bereich. Geschenkt würde einem also wenig - und ihren Kredit müssten Verbraucher ja trotzdem fast ganz zurückzahlen.


Auch Herbst von der FMH-Finanzberatung sieht keinen neuen Handlungsdruck. „Wer eine Immobilie kaufen will, hat keine Zeit abzuwarten, bis die Zinsen womöglich noch niedriger werden“, sagt er. Er müsse oft schnell den Kaufvertrag abschließen, bevor das Objekt anderweitig vergeben sei. „Anschlussfinanzierer hingegen können sich zurücklehnen und hoffen, dass die Konditionen noch besser werden.“


Was sagen die Finanzaufseher? Die Bundesbank hält Negativzinsen auf Immobilienkredite für denkbar und gibt sich gelassen. Zwar werde mit negativen Bauzinsen die Kreditaufnahme für Kunden attraktiver, sagte Vorstand Joachim Würmeling. „Umso wichtiger ist es, dass Banken Kreditvergabestandards nicht lockern.“ Das sei auf breiter Front noch nicht zu sehen.





Quelle: wiwo.de, 18.09.19

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