Weil kein Fremdschaden entstand, als sie mit ihrem Auto gegen eine Leitplanke stieß, wartete eine Autofahrerin nicht am Unfallort. Das hätte sie aber tun müssen, meinte ihr Kaskoversicherer mit Hinweis auf die Versicherungsbedingungen. Ohne Polizei am Unfallort, zur Feststellung einer möglichen Einschränkung der Fahrtauglichkeit, sah sich die Versicherung nicht in der Leistungspflicht für einen wirtschaftlichen Totalschaden. Zu Recht?
Eine Frau touchierte mit ihrem Auto eine Leitplanke, das Fahrzeug erlitt dadurch einen wirtschaftlichen Totalschaden in Höhe von 3.650 Euro. Da sie keinen Schaden an der Leitplanke feststellen konnte, verließ die Fahrerin den Unfallort, ohne die Polizei zu benachrichtigen. Am Tag nach dem Unfall verständigte sie ihren Kfz-Versicherer, bei dem sie einen Vollkasko-Versicherungsvertrag unterhielt.
Versicherer verweigert Zahlung mit Hinweis auf Aufklärungsobliegenheit
Doch die Versicherung weigerte sich, Versicherungsschutz zu leisten. Die Frau habe gegen die vertraglichen Obliegenheiten aus dem Versicherungsvertrag verstoßenen. Die Versicherung berief sich auf die dem Vertrag zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen (AKB 2009), in denen unter anderem steht:
E.1.3.: „Sie sind verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadensereignisses dienen kann. Dies bedeutet insbesondere, dass Sie … den Unfallort nicht verlassen dürfen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.E.7.1.: „Verletzen Sie vorsätzlich eine Ihrer in E.1 bis E.5 geregelten Pflichten, haben Sie keinen Versicherungsschutz. Verletzen Sie Ihre Pflicht grob fahrlässig, sind wir berechtigt, unsere Leistung in einem der Schwere Ihres Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen.“
Versicherer: Frau hätte am Unfallort warten müssen, auch ohne Fremdschaden
Nach Ansicht der Versicherung hätte die Frau auch am Unfallort auf die zu informierende Polizei warten müssen, wenn kein Fremdschaden entstanden war. Denn nur so sei es für die Versicherung möglich festzustellen, ob die Autofahrerin möglicherweise alkoholisiert gewesen sei, oder ob andere Einschränkungen der Fahrtauglichkeit vorgelegen hätten.
Das Amtsgericht hatte schon keine Verletzung der Obliegenheiten gesehen. Und auch das Landgericht Ravensburg hat der klagenden Autofahrerin Recht gegeben – sie hat demnach einen Anspruch gegen die Versicherung.
Warum die Versicherung zahlen muss
Das Gericht begründete seine Entscheidung so:
Der Versicherungsfall ist eingetreten. Nach A.2.3.2 der AKB sind Unfälle des Fahrzeugs versichert.Der Anspruch ist auch nicht nach § 28 Abs. 2 VVG i.V.m. E.7.1., E.1.3 der AKB ausgeschlossen.Die Autofahrerin trage mangels Fremdschaden keine Obliegenheit, an der Unfallstelle zu warten, um die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.
Das Gericht wies in der Urteilsbegründung darauf hin, dass in der Rechtsprechung umstritten und höchstrichterlich nicht geklärt sei, ob die Warteobliegenheit nach E.1.3 der AKB einen Fremdschaden voraussetzt und damit an die Voraussetzungen des § 142 StGB (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallsort) anknüpfe oder unabhängig davon bei jedem Unfall greife.
Gericht: Wartepflicht nur bei Vorliegen eines Fremdschadens
Nach Auffassung des Gerichts greift die Warteobliegenheit der Versicherungsbedingungen nur dann, wenn ein Unfall oder ein Fremdschaden vorliegt.
Der Wortlaut der AKB-Klausel entspreche zwar nicht genau demjenigen des § 142 StGB (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort).Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird die Klausel aber auf den ihm jedenfalls dem Inhalt nach bekannten Straftatbestand beziehen. Es sei daher eine versicherungsrechtliche Parallelwertung anzustellen, wonach Versicherte mangels eines Fremdschadens weder verpflichtet sind , an der Unfallstelle zu warten, noch die Polizei zu verständigen,um den Beamten Feststellungen zu seiner Person und der Art seiner Beteiligung zu ermöglichen.
Ein Versicherungsnehmer dürfe davon ausgehen, dass er seiner Aufklärungspflicht grundsätzlich dann gerecht werde, wenn er die strafrechtlich sanktionierten und allgemein bekannten Handlungspflichten erfülle.
(LG Ravensburg, Urteil v. 17.05.2018, 1 S 15/18).
Anmerkung:
Es wird die Auffassung vertreten, wonach in der Fassung des E.1.3 AKB 2008 eine eigenständige versicherungsrechtliche Wartepflicht vereinbart sein soll, welche unabhängig von der Strafbarkeit des § 142 StGB bestehen und über diese hinausgehen soll (z.B. Tomson/Kirmse, VersR 2013, 177), sodass der Versicherungsnehmer unter Umständen bis zum Eintreffen der Polizei oder sogar unbegrenzt warten müsste, selbst wenn kein Fremdschaden entstanden ist.
Diese Auffassung übersieht jedoch, dass nach der ständigen Rechtsprechung des BGH Versicherungsbedingungen entsprechend dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers auszulegen sind. Dieser wird auch bei der Formulierung gem. E.1.3 AKB 2008 den Bezug zur Straftat des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) erkennen und daher nicht davon ausgehen, dass von ihm versicherungsrechtlich mehr verlangt wird als strafrechtlich. Dementsprechend ist auch bei der Obliegenheit des E.1.3 AKB 2008 davon auszugehen, dass eine Aufklärungspflichtverletzung nur bei Erfüllung des Straftatbestandes des § 142 StGB vorliegt (OLG München; OLG München, Urteil v. 26.02.2016, 10 U 2166/15 zfs 2016).
(Autoren: RAe Hillmann III/ Schneider in Deutsches Anwalt Office Premium)
Was sind die Konsequenzen bei einer Fahrer-/Unfallflucht?
Nach § 142 Abs. 1 StGB macht sich ein Unfallbeteiligter strafbar, wenn er sich sofort oder nach einer den Umständen angemessenen Wartezeit vom Unfallort entfernt, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.
Wurde eine Unfallflucht nach § 142 StGB begangen, so ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen (§ 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB) mit der Folge, dass ihm die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen ist (§ 111a Abs. 1 StPO).
Tätige Reue
Gem. § 142 Abs. 4 StGB kann das Gericht im Fall einer tätigen Reue in Form von Nachmeldung des Unfalls die Strafe mildern oder von ihr absehen ,wenn ein Unfall außerhalb des fließenden Verkehrs einen nicht bedeutenden Sachschaden zur Folge hat. Der Schaden lag vorliegend jedoch über der Unerheblichkeitsgrenze von 1.300 EUR.
Obliegenheiten im Versicherungsrecht
Es wird zwischen gesetzlichen und vertraglichen Obliegenheiten unterschieden. Die gesetzlichen Obliegenheiten sind im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) geregelt. Sie gelten für alle Versicherungssparten.
Gesetzlichen Obliegenheiten:
Die wichtigsten gesetzlichen Obliegenheiten sind die vorvertragliche Anzeigepflicht (§§ 16 bis 22 VVG), Unterlassungs- und Anzeigepflichten im Zusammenhang mit einer Gefahrenerhöhung (§§ 23-30 VVG), die Obliegenheit zur Anzeige eines Versicherungsfalls (§ 33 VVG) und die Auskunfts- und Belegpflicht (§ 34 VVG).
Vertragliche Obliegenheiten:
In den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) werden die vertraglichen Obliegenheiten vereinbart. § 28 Versicherungsvertragsgesetz regelt die Rechtsfolgen, die eintreten können, falls eine vertragliche Obliegenheit verletzt wird. Obliegenheiten müssen transparent formuliert sein (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Das bedeutet, dass der Versicherungsnehmer deutlich erkennen kann, was von ihm verlangt wird und unter welchen Umständen er seinen Versicherungsschutz verlieren kann. Zudem dürfen Obliegenheiten den Versicherungsnehmer nicht unangemessen benachteiligen (§ 307 Abs. 2 BGB).
Quelle: Haufe.de, 07.02.19
https://www.haufe.de/recht/weitere-rechtsgebiete/verkehrsrecht/kfz-versicherung-und-wartepflicht-bei-unfall-ohne-fremdschaden_212_483466.html
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